Das Motel
Ich kam während einer Geschäftsreise in die Nähe von Nashville, USA. Um mich herum zierten fast kahle Bäume die Landschaft. Ich bin ein Mensch,ohne das Gespür für Zeit und so hatte ich vergessen,dass wir mittlerweile den 31.Oktober schreiben.
Ermattet von der Reise,fuhr ich kreuz und quer durch die dämmernde Landschaft. Nachdem ich mehrere Male dem Sekundenschlaf zum Opfer gefallen bin,entschied ich mich, in das nächste Motel einzuchecken. Schon nach kurzer Zeit wurde ich fündig.
„ Everything is bigger in good old 'merica“ sagt der neue Werbeslogan meiner Firma, was sich mal wieder bestätigte.
Es kann sein,dass mich meine inzwischen kaum noch vorhandenen Sinne täuschten, aber dieses Motel kam eher einem Palast gleich. Heruntergekommen-17. Jahrhundert schätze ich und hoffe,dass es nicht auf dem gleichen sanitären und technischen Stand ist. Die eingerissenen Mauern zierten zahlreiche Spinnweben ,so groß wie Autoreifen und von der Nacht schwarz gefärbtes Efeu rankte sich um jedes Fenster.
Auch wenn es keinen guten Eindruck machte, musste ich dort einchecken. Noch eine Nacht im Kofferraum meines kleinen Gefährts und ich kann meinen Rücken gleich beim Schrotthändler verkaufen und würde dabei Verlust machen.
Angekommen bei dem riesigen Gebäude legte ich meine Hand auf die eiserne Klinke und ahnte noch nicht,dass ich diese Nacht wohl auch keinen Schlaf finden würde.
Ich öffnete die Tür mit einem ungeheurem Knarzen,welches mir fast das Gehör gekostet hätte. Noch hätte ich umdrehen können,tat es aber nicht-im Gegenteil. Nur noch wenige Schritte trennten mich von der eindrucksvollen Rezeption.
Wie auch das übliche Gebäude war es mit Halloween-Deko praktisch schon überfüllt. Mit der freudigen Aussicht,endlich mal wieder in einem richtigen Bett schlafen zu können, klingelte ich. Und dann wartete ich. Und wartete. Und wartete. Es kam aber einfach niemand. „ Reicht ja ,wenn die anderen Leute frei haben. Warum solltest du auch schlafen?“ grummelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und war schon wieder im Begriff zu gehen. Ich nahm meine Tasche und drehte mich um. Schon ergriff mich der erste Schrecken des Abends : eine weiße Gestalt mit ebenso weißen Haaren und schwarzem Umhang bleckte die spitzen Eckzähne. Graf Dracula höchst persönlich stand direkt vor mir, angestrahlt vom fahlen Licht der im Foyer stehenden Kerzen.
Überrannt vom einsetzenden Schwindel und folgender Ohnmacht-wache ich in einem kleinen Kämmerchen auf. Es folgt ein kurzer Check,ob ich Bissspuren am Hals finde.
Glück gehabt-ich bin immer noch im Besitz meiner 5 l Blut.
Ich setze mich auf und werde erneut von heftigem Schwindel attackiert und korrigiere meine Aussage: meiner Kopfwunde nach zu urteilen, habe ich wohl die Hälfte meines Lebenssaftes verloren. Und der Beule nach zu urteilen,stülpt sich der Marianengraben auf meinem Hinterkopf aus.
Ich versuche dennoch aufzustehen und stolpere über meinen Koffer. Wie zur Hölle ist der hier hoch gekommen? Und wie zur Hölle bin ich hier hoch gekommen?
Ein Blick auf mein Handy verrät mir,dass ich wohl gute 3 Stunden geschlafen habe. Wesentlich besser fühle ich mich aber nicht.
Ich entdecke die Minibar und verspüre das dringende Bedürfnis etwas zu trinken. Egal was-hauptsache flüssig. Wankend nähere ich mich dem kleinen roten Schränkchen und öffne ihn. Ein übler Gestank lässt mich erschaudern. Ein süßlicher Geruch der Verwesung steigt auf. Ein Blick in die Minibar lässt mich so sehr aufschreien,dass ich mir sicher bin,das komplette Dorf geweckt zu haben. Neben kleinen Flaschen offenbart sich mir ein abgetrennter Kopf. Weit aufgerissener Mund, weiße Haut und lange fettige Haare lassen mich nicht aufhören zu schreien.
Ich bin mir nicht sicher,ob ich nochmal ohnmächtig geworden bin,ich fand mich aber auf dem kalten Fußboden wieder.
Dem Schlafmangel verschuldet, öffnete ich erneut die Minibar. Erstaunlicher Weise war nichts mehr zu sehen von Händen,Daumen geschweige denn Köpfen.
In der Ferne hörte ich eine Frau schmerzvoll schreien. Ich dachte mir,dass es vielleicht eine Tonaufnahme sein könnte und dass der Schrei natürlich nichts mit den hier herrschenden Umständen zu tun hat.
Zitternd schaute ich aus dem Fenster und sah wie die Köchin einen gefüllten Müllsack hinter sich her schliff. Durch das flackernde Licht ihrer Taschenlampe konnte ich Blutflecken auf ihrer Schürze erkennen. Was war noch gleich die Empfehlung des Hauses? Blutwurst?
Das alles konnte kein Zufall sein. Ich packte meine Sachen zusammen und war wild entschlossen zu gehen. Mit dem Koffer in der Hand und einer großen Portion Mut ging ich auf meine Zimmertür zu. Verschlossen. „Endlich zahlt sich das Fitnessstudio mal aus.“ Und mit diesem Satz öffnete ich nicht ganz feinfühlig die Tür. So feinfühlig ich dir Tür geöffnet habe,landete ich auch auf der selben. Ein lautes „Knacks“ war zu hören und ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Körper. Instinktiv ging meine Hand zum Ursprung des Schmerzes. Durch meine elegante Landung, hatte mir die Türklinke 3 Rippen gebrochen,wie ich später erfahren musste.
Doch meine Angst war größer als der Schmerz. Ich rappelte mich auf und humpelte zur Treppe-mein Knöchel musste auch was abbekommen haben.Kaum hatte ich den ersten Schritt getan, packte mich eine kalte weiße Hand an der Schulter und zog mich zurück. Ich drehte mich um und blickte dem Grafen direkt in seine leblosen Augen und damit in seine tiefschwarze Seele,wenn man davon ausgehen kann,dass dieses Wesen der Nacht überhaupt eine Seele besitzt.
„ Das Essen ist serrrvierrt.“ sagte er mit düsterer Stimme und ließ mir das übrig gebliebene Blut in den Adern gefrieren. Starr vor Angst blieb ich vor der untoten Gestalt stehen und er holt aus.
Wahnsinnige Schmerzen breiten sich in meinem Körper aus. Mir wird zur gleichen Zeit heiß und kalt. Ich merke,wie ich die Augen verdrehe und die Welt um mich herum zu flackern anfängt. Alles was ich sehe,verwischt und stellt sich mir mit den unnatürlichsten Farben dar. Ich fange an zu halluzinieren. Und gebe mich der nächsten Ohnmacht in dieser Nacht hin.
[…]
Ich öffne langsam meine Augen und sehe nichts. Nur Dunkelheit.
Wie lange dieser Blackout gedauert hat? Ich habe nicht die geringste Vorstellung.
Was passiert ist? Auch in diesem Punkt streikt mein Gedächtnis.
Ich versuche mich aufzusetzen und stoße mir prompt den Kopf. Ich bekomme mit,dass ich von heftigen Kopfschmerzen geplagt bin. Wo zur Hölle bin ich ? Ich versuche nach vorne zu greifen. Ist das etwa Holz?
Plötzlich rasen die Erinnerungen wie auf deutschen Autobahnen durch meinen Kopf. Der Mann. Dracula. Bin ich begraben? Liege ich in meinem Sarg? All die Fragen steigern meine Schmerzen ins Unermessliche.
Okay, positive Nachricht: ich bin nicht begraben. Ich kann einige Luftzüge von draußen spüren.
Bin ich in der Lage den Sarg aufzubrechen? Ein Versuch ist es immerhin wert. Ein paar mal trete ich gegen das massive Holz über mir. Mit einem lauten Krachen zersplittert der Sargdeckel.
Da ich mich,laut meinem Augenarzt, an der Grenze zur Nachtblindheit befinde, kann ich nur schemenhaft den spärlich ausgeleuchteten Raum erkennen.
Ich steige aus dem Sarg. Was zum...? Meine Rippen ? Sie schmerzen keines Weges mehr und so auch mein Knöchel.
Ich drehe mich um und laufe zwei schweren Vorhängen entgegen. Als ich sie beiseite ziehe, offenbart sich mir mein Schicksal:
Ich bin kreidebleich. Wie viele Liter Blut hat mir der Graf ausgesaugt? Die Sonne scheint mir auf die Hände und ins Gesicht. Sollte ich nicht glitzern? Nein,das ist ja Quatsch-ich bin ja immerhin nicht Edward. Je länger ich aber trotzdem auf den Diskokugeleffekt warte, desto mehr Rauch entwickelt sich.
Rußpartikel tanzen durch den Raum. Woher kommen die? Ich kratze mich am Kopf und merke,wie sich nach und nach mein Gesicht auflöst.
Schnell setze ich einen Schritt zurück.
Ich bin ein Vampir. Ein Kind der Nacht. Auf ewig verdammt durch die Finsternis zu jagen und meinen wehrlosen opfern das Blut auszusaugen.
#SprecialThanx:Zwilling